Die letzten ihrer Art


Autor/in: Maja Lunde

Verlag: btb

Seiten: 636

Preis: 22,- EUR

geschmökert: 28.01.2020 - 11.02.2020




Inhalt



St. Petersburg 1881



Dem Zoologen Michail wird der Schädel eines getöteten mongolischen Wildpferdes gebracht. Er kann kaum fassen, was er in den Händen hält: Es könnte der Schädel eines Urpferdes sein, das eigentlich seit Tausenden von Jahren als ausgestorben gilt. Michail plant eine Expedition in die mongolische Steppe. Ein großes Wagnis, für das er die Hilfe des Abenteurers Wolff benötigt. 



Mongolei 1992

Die Tierärztin Karin reist mit ihrem Sohn Mathias von Berlin in das Naturschutzgebiet Hustai. Mathias möchte mit seinem früheren Leben abschließen und seine Mutter wieder besser kennenlernen. Karin wiederum ist ihrem Ziel ganz nah, eine Herde des fast ausgestorbenen Przewalski-Pferdes in die freie Wildbahn zu entlassen. Seit ihrer Kindheit widmet sie den Pferden ihr Leben. Doch das hat seinen Preis, damals wie heute. 


Norwegen 2064

Der Klimakollaps ist eingetreten, Europa zerfällt. Viele Menschen mussten ihre Heimat verlassen, nur Eva und ihre Tochter Isa leben noch immer auf ihrem Hof. Das Verhältnis ist angespannt: Isa möchte gehen, Eva will bleiben und kämpfen, auch wenn die Nahrung knapp wird. Sie möchte um jeden Preis ihre beiden letzten Wildpferde retten. Bis plötzlich eine fremde Frau Zuflucht auf dem Hof sucht. 
Maja Lunde erzählt von drei Familien, von einer seltenen Pferderasse und von dem alles entscheidenden Kampf gegen das Aussterben der Arten.



Meine Meinung 

Ich hatte mit Pferden nie etwas am Hut - war nie das typische Pferdemädchen und habe tatsächlich noch nie ein Buch über Pferde gelesen. Aber spätestens als ich „Die Geschichte der Bienen“ von Maja Lunde beendet hatte, wusste ich, dass ich auch ihre anderen Bücher lesen muss. Wegen der Pferdethematik hatte ich allerdings geglaubt, dass es mir wahrscheinlich nicht so gut gefallen könnte. Aber da lag ich so was von falsch!
Also wenn es euch genauso geht wie mir und ihr euch von der Pferde-Thematik vielleicht eher abschrecken lasst, kann ich euch nur sagen: Lest es trotzdem, denn es beinhaltet so viel mehr als Pferde und es greift so viele wichtige Themen auf. 

Es erzählt von vielen Arten, die der Wildpferde ist nur ein Beispiel, wie sie besonders sind, da sie eigentlich als ausgestorben galten. Aber grundsätzlich geht es vor allem darum, dass nur die Arten überleben, die sich am besten anpassen. Das war schon immer so und wird auch immer so bleiben. Und der Mensch zählt dabei genauso zu den Arten wie alle Tiere. 

"Der Mensch ist ein besonders dummes Tier, ganz einfach. Wir können nicht weiter denken als bis zum nächsten Frühling oder bis zur nächsten Geburt. Deshalb geht alles den Bach runter. Das ist der Lauf der Natur."

Aber fangen wir chronologisch an: Zunächst einmal musst man sich, vor allem in den Geschichten von Karin und Michail, erst einmal reinlesen und einen Zugang zu den Charakteren finden - diese beiden erschienen mir am Anfang noch etwas unnahbar und tatsächlich ein bisschen langweilig in dem Geschehen ihrer Geschichte. 
Doch je näher man die Charaktere kennenlernt, desto tiefgründiger werden sie. Alle Hauptcharaktere in dem Buch haben ihre eigene vielschichtige Geschichte zu erzählen und gerade durch die Schreibweise, dass sich die drei Geschichten ständig abwechseln, lernt man in jedem Kapitel einen anderen Teil der jeweiligen Figur kennen, die ihrer Persönlichkeit ausmacht. Zudem erhält auch jede Figur ihren ganz eigenen Schreibstil, man kann sie also, obwohl alles aus der Ich-Perspektive erzählt ist, sehr gut auseinander halten und auch nachvollziehen. 

Michail lebt im Jahr 1881 in St. Petersburg. Er ist Zoologe und arbeitet in einem großen Tiergarten. Er Interessiert sich sehr für die verschiedenen Arten von Tieren und dafür wie er sie einem breiten Publikum bekanntmachen kann. Daher plant er sofort eine Expedition in die Mongolei, als er von den Urpferden hört, die dort möglicherweise noch leben. 
Und so passiert es dann, er reist mit dem bekannten Abenteurer Wolff in die Mongolei. Es wird eine beschwerliche Reise, sowohl hin als auch zurück, aber sie entdecken die Wildpferde und es gelingt ihnen sogar, einige einzufangen. Doch Michail findet nicht nur diese Pferde, sondern auch sich selbst. Tatsächlich kam ich mit seiner Art und seinem Charakter am Anfang zu so gut klar, doch er macht eine deutliche Wandlung durch und kommt auch auf gewisser Weise mit sich selbst ins Reine, sodass er dann auch dem Leser sympathischer erscheint. 

Karin und ihr Sohn Mathias sind im Jahre 1992 gerade in der Mongolei angekommen - im Gepäck eine Herde Wildpferde, die von einem Hof in Frankreich stammen und nun wieder in ihre natürlich Heimat zurückgeführt werden sollen. Diese Pferde sind Karins ganze Lebensexistenz. Seit sie als kleines Mädchen zum ersten Mal mit dieser Rasse in Berührung kam, gibt es für sie praktisch nichts anderes - auch ihr Sohn kommt meist erst an zweiter Stelle. 
Von allen Charakteren lernt man Karin am besten kennen, man begleitet sie in kurzen Rückblenden in ihre Kindheit und erhält dadurch einfach eine Hintergrundgeschichte zu ihrer Figur. Auch das Verhältnis zu ihrem Sohn wird dargestellt und vor allem die Ereignisse, die die Beziehung kaputt gemacht haben, wenn sie denn je heile war. Denn für Karin sind die Pferde ihre „Kinder“, um die sie sich rund um die Uhr sorgt. 
In der Figur von Karin findet keine große Charakterentwicklung statt, aber durch die Rückblenden und ihre Erinnerungen werden ihre Beweggründe deutlich und man lernt sie zu verstehen. 

Im Jahr 2064 - nur knapp 45 Jahre in der Zukunft, behaltet das vor Augen - lebt Eva mit ihrer 13-jährigen Tochter Isa in Norwegen einsam und verlassen auf ihrem Hof, der zu einem ehemals strahlenden, gut besuchten Tierpark gehörte. Die Welt der beiden ist keine, in der wir heute leben möchten, das wird einem schon auf den ersten Seiten klar. Es wird nie direkt von allen misslichen Zuständen gesprochen, aber durch Andeutungen oder Beschreibungen von eher Nebensächlichem wird schnell klar, dass das Leben so nicht mehr das ist, wie wir es heute kennen. Doch Eva und vor allem Isa kennen es kaum anders: Sie versuchen mit Mühe und Not sich selbst und die wenigen Tiere, die ihnen geblieben sind, durchzubringen. Sowohl Eva, als auch Isa und später auch die Fremde, die bei ihnen auftaucht und ihre Leben durcheinander wirbelt, werden unglaublich gut und authentisch dargestellt. Sie alle haben ihre Beweggründe, die sie handeln lassen, wie sie eben handeln.

Alle Geschichten sind so unabhängig voneinander erzählt, dass man meinen könnte, man läse drei verschiedene Bücher. Eine Verbindung zwischen Michail und Karin schaffen die Wildpferde in der Mongolei. Während sie jedoch von der einen wieder ausgesiedelt werden, will der andere sie einfangen und nach Europa bringen. Auch das Verhalten der Tiere und ihre Abhängigkeit vom Menschen zeigen in beiden Zeiten viele Parallelen. Doch in Evas Geschichte geht es kaum wirklich um ihre Pferde, es geht vor allem um das Überleben ihrer kleinen Familie und dem Wunsch an dem Festzuhalten, was immer schon Bestand hatte nun aber zu zerfallen droht.
Verbindend sind außerdem die wirklich bildhafte und detaillierte Darstellung von Tod und neu entstehendem Leben in diesem Buch. Manchmal musste ich tatsächlich inne halten und kurz Pause machen, weil die Szene so explizit dargestellt wurde, dass ich kurz eine Atempause brauchte.  
Alles in allem kann ich nur sagen: lest dieses Buch bitte!

Ihr könnt mit „Die Geschichte der Bienen“ starten und dann mit „Die Geschichte des Wassers“ weitermachen, bevor ihr euch diesem dritten Werk widmet, aber ihr könnt es auch völlig unabhängig lesen. (Mir fehlt „Die Geschichte des Wassers“ auch noch, aber jetzt will es einfach unbedingt lesen.)
In gewisser Weise bauen die Bücher aufeinander aus, denn in allen fand zu dem einen bestimmten Zeitpunkt der Klimakollaps statt und die Welt scheint am Abgrund zu stehen. In „Die letzten ihrer Art“ wurde noch einmal aufgegriffen, dass die Bienen von den Erde verschwunden sind und in einigen Gebieten das Wasser sehr knapp geworden ist - beides Themen, die in den anderen beiden Büchern thematisiert wurden. 
Die Hauptcharaktere sind in allen Büchern jedoch völlig andere, sodass einem nichts entgeht, wenn man nur eines dieser Bücher liest oder eine andere Reihenfolge wählt. 
Und nun noch einmal zu meiner Ausgangslage, dass ich nie ein großer Pferdekenner war. Das bin ich natürlich immer noch nicht, aber diese Geschichte bringt sie einem doch näher. Gerade aus der Sicht von Karin und Michail, die eine tiefe Verbundenheit zu ihren Pferden empfinden, wie die Eltern zu einem Kind, bekommt man selber diese Verbundenheit zu spüren und fühlt absolut mit, wann immer ein Schicksalsschlag eintritt. Ich hatte einige Male Tränen in den Augen, so sehr hat mich das Buch an manchen Stellen mitgenommen. 

Mein einziges kleines Manko ist, dass ich mir gewünscht hätte, noch mehr über den Werdegang von Eva und Isa zu erfahren. Während Karins und Michails Geschichten in sich abgeschlossen sind, erscheint mir Evas noch zu offen, als dass ich damit hundert Prozent zufrieden sein kann.


Fazit 

Es ist ein absolut lesenswertes Buch, das so viel Gefühl beinhaltet wie drei Bücher. Alle Protagonisten sind unglaublich authentisch und nachvollziehbar gestaltet und ihre Verbundenheit zu den Pferden so tief und aufrichtig, dass der Leser sie selber spüren kann. 
Zudem zeigt es eine Zukunft, in der wir nicht leben wollen, deshalb schaut sie euch an und versucht mit aller Kraft zu verhindern, dass sie zu unserer Zukunft wird. 


4,5/5 Sterne 

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